Lektion Chicago
Negative Split. Neue Bestzeit. Boston Qualifying Time. Chicago war mein Glücksfall — und gerade deswegen meine vielleicht größte mentale Prüfung.
Fünf Monate, mehr als 1400 Trainingskilometer und jede Menge Nerven habe ich in diesen Trainingszyklus investiert, wie immer mit dem Ziel, am "großen Tag" so wenig wie möglich dem Zufall zu überlassen. Fehler vorher machen und rechtzeitig Lösungen (sowie die perfekten Shorts) finden, Hitze und Regen die Stirn bieten, die lieben Verwandten vor Ort schon mal warnen, dass Frau in den Tagen davor nicht wirklich zu gebrauchen sein wird — um dann sitze ich am Ende trotz allem mit dem Gefühl im Flugzeug, nicht an alles gedacht zu haben.
Zugegeben: Ich brauche dieses Abenteuergefühl, es macht für mich einen Teil des Zaubers aus, der dem Marathon so eigen ist. Zugleich zeigt es mir sehr deutlich, woran ich in der Vorbereitung NIE denke: Dass alles glatt laufen könnte. Dass mir genau dies in Chicago passiert ist, hat mich letztlich nicht nur mit einem Traumergebnis und unvergesslichen Eindrücken belohnt, sondern auch mit einer wichtigen Lektion: Ein Marathon, der gut läuft, verlangt dir mindestens so viel mentale Stärke ab wie ein Lauf voller Hindernisse. An den guten Tagen wirst du sonst selbst dein Hindernis.
"Warum fühlt es sich leichter an als erwartet? Ich sollte mehr geben... nein, weniger! Verdammt, Garmin, get your GPS sh** together! Was, wenn dein Gefühl falsch liegt und du an die Wand rennst? Come on, you trained for this! Yes, but..."
Zulassen, dass es läuft und vertrauen, dass es trägt — ich wusste nicht, wie schwer das sein kann! Letztlich musste ich den mentalen Werkzeugkasten bis zur letzten Sicherheitsnadel zum Einsatz bringen, um meine innere Stimme zu hören, aber nicht zum Torpedo werden zu lassen: Mantras, und zwar alle. YOU ARE DOING THIS, QUEEN. Stur an den Gels dranbleiben, Struktur ist Trumpf. Mit dem Pacer quatschen, bis du sogar den Namen seiner Katze kennst (Fred). Fist-Bump mit Fünfjährigen. Meilenzählen bis zum Family-Spot, wo Tante Joyce mit Skittles wartet. In der nächsten Kurve selbst diejenige sein, die das Publikum animiert. Die Stimmung an der Strecke durch die Vielfalt der Stadtviertel ist unbeschreiblich — und an jeder Ecke verbirgt sich Energie, die du für dich verwandeln kannst.
Zulassen, dass es läuft. YOU ARE DOING THIS, QUEEN. Next stop, Boston.
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